Meditationsforschung

#1 von Excubitor , 28.12.2021 23:26

Spektrum.de - "MEDITATION: Wie Achtsamkeit wirkt"

"28.12.2021

Achtsames Verhalten soll bei einer Vielzahl gesundheitlicher Probleme helfen. Entsprechende Apps zum Üben erfreuen sich großer Beliebtheit. Doch welche Auswirkungen der Technik sind wirklich wissenschaftlich belegt?

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Säkulare Versionen der Achtsamkeit wurden erstmals in den 1970er Jahren aus buddhistischen Wurzeln entwickelt und ebneten den Weg für wissenschaftliche Untersuchungen, welche die Auswirkungen auf den Geist ergründen wollten. In den 1990er Jahren hielt die Praxis dann breiten Einzug in die Gesellschaft. Seither wurde in viel beachteten Studien und Medienbeiträgen über dramatische Veränderungen der Hirnstruktur und -funktion berichtet. Die gefundenen Vorteile reichen von einer erhöhten Aufmerksamkeit über eine verbesserte Stimmung und ein besseres Gedächtnis bis hin zu einem verjüngten Gehirn.

[AUF EINEN BLICK
KEIN ALLHEILMITTEL

1. Achtsamkeit liegt im Trend. Sie wird von Ärzten verordnet, in Schulen und am Arbeitsplatz trainiert und mittels Smartphone-Apps praktiziert.

2. Fachleute dämpfen jedoch die Erwartungen: Zwar wirke die Methode durchaus, etwa bei chronischem Schmerz oder Angstzuständen – aber nicht besser als andere Ansätze.

3. Ein Grund für die beobachteten Effekte könnten Veränderungen der Hirnstruktur durch die Meditation sein. Gleichwohl stellen sich diese wahrscheinlich erst nach jahrelanger Praxis ein.
]

Achtsamkeitstechniken werden daher inzwischen von Ärzten verschrieben, in Schulen gelehrt, von Arbeitgebern angeboten – und sie lassen sich problemlos mit Hilfe von Smartphones praktizieren. In den letzten Jahren begannen Fachleute jedoch vermehrt damit, die Praxis auch zu kritisieren: Die Vorteile seien überbewertet, und mögliche negative Effekte würden ignoriert. Unklar ist zudem, ob solche Apps, über die die meisten Menschen heute Zugang zur Achtsamkeitsübungen finden, auf die gleiche Weise funktionieren wie ein formelles Training.

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Ein Teil des Problems ist, dass nicht alle frühen Studien gut konzipiert waren. In vielen seien die Achtsamkeitsinterventionen nicht mit geeigneten Kontrollgruppen verglichen worden, so Fox. Das macht es schwierig, tatsächliche Vorteile von einem Placeboeffekt zu unterscheiden. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass immer noch keine gute wissenschaftliche Definition dafür existiert, was Achtsamkeit wirklich ist. Auch gibt es keine strengen Methoden, um zu messen, inwieweit sich Menschen in einem achtsamen Zustand befinden.

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KURZ ERKLÄRT:
Achtsamkeit bezeichnet einen bestimmten Bewusstseinszustand, in dem man voll im Hier und Jetzt verankert ist. Gedanken und Sinneseindrücke lässt man einfach passieren, ohne weiter darüber nachzudenken oder sie zu bewerten. Diese Form der Geistesgegenwart geht zurück auf den Buddhismus, wo sie insbesondere in Zusammenhang mit Meditationstechniken gelehrt wird.

Kleine nachweisbare Effekte

Eine Metaanalyse von Anfang 2021, bei der Daten aus mehreren Studien kombiniert wurden, um Schwankungen auszugleichen, bescheinigt der Achtsamkeitsmeditation hingegen eine leichte Verbesserung der exekutiven Funktionen. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, das eigene Verhalten zu kontrollieren und zu überwachen, wenn man versucht, eine Aufgabe zu erledigen oder ein Ziel zu erreichen. Zusätzlich fanden sich Hinweise auf eine erhöhte Aufmerksamkeit.

Eine andere solche Analyse von 136 Studien mit mehr als 11 000 Teilnehmern, die etwa zur gleichen Zeit erschien, ergab: Achtsamkeitsbasierte Interventionen helfen im Allgemeinen bei Angst, Stress und negativer Stimmung. Das Gedächtnis können sie jedoch nicht signifikant verbessern.

Willem Kuyken, Leiter des Oxford Mindfulness Centre an der University of Oxford, erforscht die achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT), die für Menschen mit wiederkehrenden Depressionen entwickelt wurde. Sie soll den Betroffenen dabei helfen, gesund zu werden oder zumindest möglichst lange ohne depressive Phase zu leben. Seiner Meinung nach gibt es inzwischen stichhaltige Belege dafür, dass MBCT wirkt. Allerdings sei der Ansatz nicht effektiver als andere Behandlungsmethoden wie Medikamente oder kognitive Verhaltenstherapie. [...]

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Achtsamkeit soll dabei helfen, der Tyrannei der negativen Gedanken zu entkommen

Die Studienlage deutet zumindest darauf hin, dass Achtsamkeit, wie auch andere Formen der Meditation, den dorsalen anterioren zingulären Kortex aktiviert. Dieses Hirnareal verbindet den präfrontalen Kortex mit dem limbischen System und ist in neuronale Top-down-Prozesse wie die Aufmerksamkeitskontrolle involviert. Das ist insofern logisch, als die Aktivierung und Deaktivierung der Aufmerksamkeit die Grundlage der Achtsamkeit sind. Ein weiteres beteiligtes Schlüsselareal ist die Insula; sie spielt eine Rolle bei der Wahrnehmung des eigenen Körpers, etwa beim Spüren des eigenen Herzschlags. Vereinfacht ausgedrückt bedeute dies, dass wir mit Hilfe der Meditation aus dem Kopf in den Körper kommen, so Fox. Damit werde unser Erleben offenbar mehr im gegenwärtigen Moment verankert.

Neue Forschungen zur Hirnaktivität liefern außerdem Hinweise darauf, wie Achtsamkeit Menschen mit chronischen Schmerzen helfen kann. [...]

60 bis 80 Minuten Achtsamkeitstraining im Vorfeld reduzierte die Schmerzen bei fast allen der mehreren hundert getesteten Probanden. Im Durchschnitt, so Zeidan, seien die Schmerzen um 45 Prozent schwächer geworden – eine Wirkung, die er auf das Doppelte einer klinischen Morphiumdosis schätzt.

Emotionales Pflaster bei Schmerz

Verblüffend ist, dass Achtsamkeit die Schmerzen offenbar nicht auf die übliche Art und Weise lindert: Placebo, Gebet, Hypnose oder Medikamente lösen allesamt die Freisetzung körpereigener Opioide aus, die wiederum schmerzbezogene Signale im Rückenmark dämpfen. Achtsamkeitsmethoden helfen aber selbst dann gegen den Schmerz, wenn man diesen Opioid-Mechanismus blockiert. Und anscheinend fühlt sich der Effekt auch anders an: »Achtsamkeit wirkt sich viel stärker auf die emotionale Dimension des Schmerzes aus als auf die sensorische«, sagt Zeidan.

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Eine nachhaltige Wirkung ist wahrscheinlich nur durch regelmäßige und jahrelange Praxis zu erreichen

Es gibt jedoch einen Haken an der Sache: Obwohl man vielleicht schon nach wenigen Wochen oder Stunden einen kleinen Effekt der Achtsamkeitsmeditation bemerkt, ist eine nachhaltige Wirkung wahrscheinlich nur durch regelmäßige und jahrelange Praxis zu erreichen. Womöglich lässt sich diese mit Hilfe von geeigneten Handy-Apps umsetzen, weil der Nutzer die Achtsamkeitsroutine damit dauerhaft in den Alltag integrieren kann. [...] Immerhin erwiesen sich in der Studie von 2015 ein paar der getesteten Programme als wirksam, darunter »Insight Timer«, »Calm« sowie »Headspace«, das am besten abschnitt.

Sowohl die Forschung als auch die Medien konzentrieren sich fast ausschließlich auf die positiven Effekte und Erfahrungen mit Meditation – offenbar gibt es aber auch negative. Farias befürchtet, dass solche Beobachtungen »unter den Teppich gekehrt werden«. 2020 analysierte er 83 Meditationsstudien und stellte fest, dass etwas mehr als acht Prozent der Teilnehmer unter unangenehmen Symptomen litten. Am häufigsten berichteten Probanden über Angstzustände oder Depressionen, seltener sogar über Psychosen oder Suizidgedanken. Über die Ursachen solcher Effekte sei wenig bekannt, sagt Farias. Fallberichte deuten jedoch darauf hin, dass sie bei einer intensiven Ausübung der Techniken öfter auftreten.

Positive Erfahrung nicht garantiert

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Ein intensives Meditationstraining kann dabei transzendente Zustände auslösen, ähnlich wie psychedelische Drogen. David Yaden von der Johns Hopkins University in Maryland beschäftigt sich als einer der wenigen Achtsamkeitsforscher mit diesem seltenen Phänomen. Während solcher Episoden schrumpft angeblich das Selbstgefühl oder löst sich gar ganz auf. Dann berichten die Menschen häufig, dass sie sich eins mit dem Universum fühlen.

Es mehren sich die Beweise – besonders durch Studien mit psychedelischen Drogen wie Psilocybin –, dass derartige Zustände tendenziell gut für die psychische Gesundheit sind. Probanden berichten von weniger Angst und Depression, von mehr Glück, Optimismus und höherer Akzeptanz des Todes. Im Gegensatz zu den allmählichen Erfolgen eines routinemäßigen Achtsamkeitstrainings können diese Effekte dramatisch sein und das Leben verändern. [...]

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Siehe ausführlich dazu die Quelle:
https://www.spektrum.de/news/meditation-...push-1640680522


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