Perspektiven mit und nach SARS-CoV-2 und Lehren aus der Pandemie

#1 von Excubitor , 26.08.2020 22:23

FOCUS ONLINE Perspektiven - ""Wir haben uns auf unserem Erfolg ausgeruht" - Gelassenheit trotz steigender Fallzahlen: Lebt Deutschland jetzt in der Corona-Blase?"
Mittwoch, 26.08.2020, 19:18
Deutschland ist auf dem Weg in eine zweite Corona-Welle. Trotzdem bleiben Politik und Gesellschaft relativ entspannt. Der Gesundheitsökonom Reinhard Busse sagt: "Die globale Situation ist völlig aus dem Blick geraten." Schuld daran seien auch die dominanten Erfolgsmeldungen der letzten Monate. Leben wir gerade in einer rosaroten Corona-Blase?

FOCUS Online: Herr Busse, die Corona-Neuinfektionen steigen weltweit an - auch in Deutschland. Trotzdem sind hierzulande viele Menschen gelassen, wenn nicht gar desinteressiert. Schätzen wir die Virus-Gefahr gerade falsch ein?

Reinhard Busse: Die globale Entwicklung der Pandemie ist in Deutschland in Vergessenheit geraten. Als wir vor einigen Monaten dachten, am Höhepunkt der Pandemie zu sein, lag die Zahl der Neuinfektionen global bei „nur“ 80.000 - aktuell sind wir bei weit über 200.000. Während sich das Virus in der Welt also immer weiter ausgebreitet hat, entstand hierzulande das Gefühl, die Krise sei überwunden. Diese verzerrte Risikowahrnehmung ist jetzt, wo die Fallzahlen auch in Deutschland wieder steigen, ein Problem.

Corona in Deutschland: "Wir haben uns auf unserem Erfolg ausgeruht"
Hat es sich Deutschland in seiner Rolle als Vorzeigeland im Kampf gegen das Virus etwas zu bequem gemacht?

Busse: Der Erfolg der deutschen Corona-Politik hängt auch immer davon ab, mit welchen Ländern man sie vergleicht. Natürlich sind wir besser durch die Krise gekommen als beispielsweise Italien oder Spanien. Länder wie Dänemark, Norwegen oder Finnland haben die Krise bisher aber mindestens genauso gut oder sogar noch besser gemeistert. Durch den permanenten Vergleich mit den großen Krisenregionen Europas haben wir uns tatsächlich auf unserem Erfolg etwas ausgeruht.

Welche Auswirkungen hat unser Virus-Erfolg auf unser Gefahrenbewusstsein?

Busse: In Teilen der Gesellschaft ist die Risikowahrnehmung bezüglich Corona deutlich zurückgegangen. Aus meiner Sicht gibt es dafür zwei Ursachen. Erstens: Die persönliche Betroffenheit vieler Menschen in Deutschland durch das Virus ist sehr gering, weil sie weder Todesfälle noch schwere Krankheitsverläufe in ihrem engeren Bekanntenkreis erlebt haben.

Zweitens ist auch die Kommunikation zu den Risikogruppen mies gelaufen. In einer Analyse, die wir bei 10.000 Covid-19-Patienten durchgeführt haben, waren 30 Prozent jünger als 60 Jahre alt; ein Viertel aller Beatmungs-Patienten war unter 60. In der Kommunikation der Politik und der Wissenschaft wirkte es aber meistens so, als ob nur Menschen einer Risikogruppe durch das Virus bedroht wären. Das ist natürlich falsch, aber im Bewusstsein der Menschen hat sich diese Annahme festgesetzt.

[...]

"Vor allem die Gesundheitsämter bereiten mir Sorgen"
Wo sehen sie momentan die größte Gefahr mit Blick auf die steigenden Fallzahlen?

Busse: Vor allem die Gesundheitsämter und die Nachverfolgung der Infektionen bereitet mir Sorgen. Hierzu ein einfaches Rechenbeispiel. Wir haben ungefähr 400 Gesundheitsämter in Deutschland, wovon jedes Amt im Schnitt für 200.000 Menschen zuständig ist. Wenn wir also den kritischen Grenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Region erreichen, heißt das, dass sich im Gebiet eines durchschnittlichen Gesundheitsamtes pro Woche 100 Neuinfizierte befinden.

Das ist enorm viel, gerade wenn man überlegt, dass diese Personen womöglich an Feiern oder anderen Veranstaltungen teilnehmen und weitere Menschen anstecken. Ich brauche dazu keinen Taschenrechner, um festzustellen, dass die Gesundheitsämter in so einem Fall schnell an ihre Leistungsgrenzen stoßen. Eine vollständige Nachverfolgung wird in einem solchen Fall nicht möglich sein. Und was dann passiert, haben wir von April bis Juni erlebt, als das öffentliche Leben lahmgelegt wurde.


[...]"

Ausführlich dazu die Quelle:
https://www.focus.de/perspektiven/gesell...d_12362908.html


Kommentar
Die Statements decken sich größtenteils mit vielen Inhalten meiner Kommentierungen zu den angesprochenen Einzelpunkten. Auch ich sehe die verzerrte Risikowahrnehmung, teilweise sogar eine Realitätsverdrängung, eine oft mangelhafte Kommunikation und die ungenügende personelle und materielle Ausstattung der Gesundheitsämter als einige der aktuell schwerwiegendsten Problemkreise, was die Bewältigung der Pandemie betrifft.

Der Ausgang wird letztlich erheblich davon abhängen, wie schnell man zur Realität zurückfindet und die erforderlichen Maßnahmen ohne weiter verzögernde Diskussionen konsequent und effektiv durchführt. Dem steht allerdings die Systematik des staatlichen Föderalismus entgegen, wo zu viele Köche (konkret Ministerpräsidenten) einen eigenen Brei kochen können, was in dieser Pandemie schon mehrfach sehr hinderlich gewesen ist. Man wird nach der Pandemie darüber debattieren müssen, ob das in Fällen weitreichender Bedrohung wie durch eine Pandemie nicht in wichtigen Fragen zentralisiert werden muss, um zu schnelleren Ergebnissen gelangen zu können.


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