Vorbemerkung
SARS-CoV-2 steht für severe acute respiratory syndrome corona virus type 2.
Die durch dieses Virus verursachte Krankheit wird als COVID-19 bezeichnet. (Abk. Coronavirus-disease-19)
Eine Mutation ist stark vereinfacht eine einzelne genetische Veränderung innerhalb desselben Virus'.
Unter Mutante versteht man ein unter Bildung einzelner oder mehrerer Mutationen entstandenes "neues" Virus desselben genetischen Stamms.
Spektrum.de - "Das Coronavirus mutiert – wie gefährlich ist das?
"Mehr als 12 000 Mutationen von Sars-CoV-2 haben Forscher bislang katalogisiert. Maßgeblich beeinflusst hat keine von ihnen den Verlauf der Pandemie. Das könnte sich aber ändern.
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Im März kontaktierte Montefiori, der an der Duke University in Durham in North Carolina ein Impfstoff-Forschungslabor leitet, die Biologin Bette Korber vom Los Alamos National Laboratory (LANL) in New Mexico. Korber ist Expertin auf dem Gebiet der HIV-Evolution und eine langjährige Kollegin Montefioris. Sie hatte bereits damit begonnen, tausende Gensequenzen des Coronavirus nach Mutationen zu durchsuchen, die seine Eigenschaften auf seinem Weg um den Globus verändert haben könnten.
Eine Mutation fiel Korber dabei immer wieder in Proben von Menschen auf, die positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden waren. Sie betrifft das Gen für das Spike-Protein, das dem Virus hilft, in Zellen einzudringen. Auf Grund eines Kopierfehlers wurde im insgesamt 29 903 Buchstaben umfassenden RNA-Code des Virus ein einzelnes Nukleotid ausgetauscht: An der Aminosäureposition 614 des Spike-Proteins wurde dadurch aus der Aminosäure Aspartat (in biochemischer Kurzschrift D) die Aminosäure Glycin (G). Virologen nennen die Mutation deshalb auch D614G.
Im April 2020 warnten Korber, Montefiori und einige Kollegen in einer vorab auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlichen Studie, dass »die Häufigkeit von D614G mit Besorgnis erregender Geschwindigkeit zunimmt«. In Europa wurde sie tatsächlich bald zur dominierenden Sars-CoV-2-Linie. Dann setzte sie sich auch in den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien durch. Die neue Virusvariante hätte sich als Produkt natürlicher Selektion herausgebildet und stelle eine »leichter übertragbare Form von Sars-CoV-2« dar, schrieben die Forscher in ihrer Arbeit.
Viele ihrer Kollegen waren von diesen Aussagen entsetzt. Es sei gar nicht sicher, argumentierten sie, dass die D614G-Viruslinie leichter übertragbar sei oder ihre Zunahme auf irgendetwas Ungewöhnliches hindeute. Doch in den Medien dominierte längst die Sorge um die Mutanten. Zwar zitierten viele Nachrichtenberichte auch die Vorbehalte der anderen Forscher. Aber manche Schlagzeile ließ keinen Zweifel: Das Virus wird durch Mutation gefährlicher. Rückblickend bedauern Montefiori und seine Kollegen, die Verbreitung der neuen Variante zunächst als »Besorgnis erregend« bezeichnet zu haben. Das Wort wurde dann auch aus der begutachteten Version des Artikels gestrichen, welche die Wissenschaftler im Juli im Fachmagazin »Cell« veröffentlichten.
Trotz allem löste die Arbeit ein riesiges Interesse an D614G aus. Selbst diejenigen, die zuvor skeptisch gewesen waren, ob die Mutation wirklich die Eigenschaften des Virus verändert hatte, stimmten zu: Der kometenhafte Aufstieg der Mutation und ihre Verbreitung waren faszinierend. Seit Monaten ist die neue Virus-Linie in fast allen sequenzierten Proben von Sars-CoV-2 zu finden. »Diese Variante ist jetzt die Pandemie«, scheiben etwa Nathan Grubaugh, Epidemiologe an der Yale School of Public Health in New Haven, Connecticut, und zwei Kollegen in einem »Cell«-Essay über die Ergebnisse von Korber und Montefiori. »Ihre Eigenschaften haben nun echte Auswirkungen.«
Was genau es mit D614G auf sich hat, ist allerdings weit weniger eindeutig, als die Arbeit von Montefiori und Korber zunächst beschrieb. Zwar legen einige Experimente nahe, dass Viren, welche die Mutation tragen, Zellen leichter infizieren können. Andere Studien dagegen sehen Grund zum Optimismus: Die Variante könnte es vielleicht leichter machen, Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 zu finden. Viele Forscher konstatieren, es gebe keinen soliden Beweis für die Annahme, dass D614G die Ausbreitung des Virus überhaupt in irgendeiner Weise beeinflusst oder dass natürliche Selektion den Aufstieg der Mutation erklärt. »Das ist alles noch offen«, sagt Timothy Sheahan, Coronavirus-Forscher an der University of North Carolina in Chapel Hill. »Die Mutation kann etwas bedeuten oder auch nicht.«
Die Mutationen des Coronavirus werfen bislang mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. Und zumindest bisher sei noch keine Veränderung bei Sars-CoV-2 gefunden, über die man sich ernsthaft Sorgen machen müsse, sagen Forscher wie Sheahan oder Grubaugh. Trotzdem könnte es für die Kontrolle über die Pandemie entscheidend sein, bestimmte Mutationen im Detail zu untersuchen – auch um den bedrohlichsten Varianten des Virus vorzubeugen: solchen etwa, die dem Virus helfen, sich dem Immunsystem, Impfstoffen oder Antikörpertherapien zu entziehen.
Langsamer Wandel
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Viren, deren Genom aus RNA besteht – wie etwa Sars-CoV-2, HIV und Influenza –, mutieren relativ schnell, wenn sie sich in den Zellen ihrer Wirte vervielfältigen. Denn die Enzyme, die RNA kopieren, machen recht viele Fehler. So entwickelte das Virus, welches das schwere akute respiratorische Syndrom (Sars) auslöst, schon bald nachdem es begann, sich in Menschen zu verbreiten, eine Mutation (bei der in diesem Fall Nukleotidsequenzen gelöscht wurden), die seine Ausbreitung verlangsamt haben könnte.
Allerdings deuten Sequenzierungsdaten darauf hin, dass sich Coronaviren insgesamt langsamer verändern als die meisten anderen RNA-Viren. Der Grund ist vermutlich ein »Korrekturlese«-Enzym, das potenziell fatale Fehler wieder korrigiert. Ein typisches Sars-CoV-2-Virus erwerbe pro Monat nur etwa zwei Mutationen, bei denen einzelne RNA-Buchstaben verändert sind, erklärt Emma Hodcroft, Molekularepidemiologin an der Universität Basel. Die Veränderungsrate des Virus sei damit gerade einmal halb so groß wie die von Influenza-Viren und nur ein Viertel so groß wie die von HIV.
Das untermauern auch Genomdaten. Bislang sind mehr als 90 000 Virus-Isolate sequenziert und veröffentlicht worden. Nimmt man zwei beliebige Proben aus diesem weltweiten Pool heraus, unterscheiden sich bei ihnen im Durchschnitt nur 10 der insgesamt 29 903 RNA-Buchstaben von Sars-CoV-2, sagt Lucy Van Dorp, Computergenetikerin am University College London.
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Doch trotz des schleppenden Wandels im Virusgenom haben Forscher schon mehr als 12 000 Mutationen von Sars-CoV-2 katalogisiert. Längst nicht alle sind untersucht oder gar verstanden – die Mutationsrate ist deutlich höher als die Erkenntnisrate der Forscher. Man kann aber davon ausgehen, dass die meisten Mutationen keinen Einfluss auf die Form der Virus-Proteine haben und damit auch nicht die Fähigkeit des Virus, sich zu verändern, sich auszubreiten oder Krankheiten zu verursachen. Und diejenigen Mutationen, welche die Proteine doch verformen, schaden dem Virus wahrscheinlich mehr, als dass sie ihm nützen. »Es ist viel einfacher, etwas kaputt zu machen, als es zu verbessern«, sagt Hodcroft, die im Rahmen des Projekts Nextstrain versucht, Sars-CoV-2-Genome in Echtzeit zu analysieren.
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Die ersten Laborstudien
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Zumindest unter Laborbedingungen seien sich die beteiligten Forscher alle einig gewesen, dass der Übergang von D auf G die Viren infektiöser mache, sagt Jeremy Luban, Virologe an der medizinischen Fakultät der University of Massachusetts in Worcester. Doch die Aussagekraft von Laborstudien ist begrenzt – und ihre Relevanz für menschliche Infektionen unklar. Erschwerend kommt hinzu, dass die Pseudoviren den meisten Fällen nur das Coronavirus-Spike-Protein auf ihrer Oberfläche tragen. Folglich können solche Experimente nur die Fähigkeit der Viruspartikel testen, in Zellen einzudringen. Andere Aspekte, etwa die Aktivität des Virus im Inneren von Zellen, geschweige denn auf einen ganzen Organismus, bleiben außen vor. Obendrein fehlen die anderen drei Mutationen, die fast alle D614G-Viren tragen. »Unter dem Strich muss man sagen: Solche Viren sind nicht das Coronavirus«, sagt Luban.
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Der stärkste Hinweis darauf, dass D614G auch einen Einfluss auf die Ausbreitung von Sars-CoV-2 beim Menschen haben könnte, liefert bislang ein britisches Projekt: das Covid-19 Genomics UK Consortium, das die Genome von rund 25 000 Virusproben analysiert hat. Anhand dieser Daten haben die Forscher mehr als 1300 Fälle identifiziert, in denen ein Virus von außen in das Vereinigte Königreich eingetragen wurde und sich dort verbreitet hat, darunter auch einige D- und G-Typ-Viren.
Ein Team unter Leitung von Andrew Rambaut, Evolutionsbiologe an der University of Edinburgh, Erik Volz, Epidemiologe am Imperial College London, und dem Biologen Thomas Connor von der Cardiff University verfolgte in diesen Daten die Ausbreitung von 62 Covid-19-Clustern in Großbritannien nach, die von D-Viren ausgingen, und von 245 Clustern, die durch G-Viren entstanden. Sie fanden keine klinischen Unterschiede bei Menschen, die mit einer der beiden Varianten infiziert waren. Allerdings wurden G-Viren tendenziell etwas schneller übertragen und bildeten größere Infektionscluster. Volz erklärt, der geschätzte Unterschied in den Übertragungsraten liege bei rund 20 Prozent. Rambaut sagt dazu: »Absolut gesehen ist dieser Effekt nicht besonders groß.«
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Kein Entkommen vor Antikörpern – bis jetzt
Die meisten derzeit verfügbaren Daten lassen darauf schließen, dass D614G die neutralisierenden Antikörper des Immunsystems nicht daran hindert, Sars-CoV-2 zu erkennen, wie es Montefiori zunächst befürchtet hatte. Vielleicht deshalb, weil die Mutation nicht in der Rezeptor-Bindungsdomäne (RBD) des Spike-Proteins liegt, einer Region, auf die viele neutralisierende Antikörper abzielen: Die RBD bindet an das Zellrezeptorprotein ACE2, ein entscheidender Schritt für das Eindringen des Virus in eine Wirtszelle.
Es gibt aber erste Hinweise darauf, dass andere Mutationen dem Virus helfen konnten, bestimmte Antikörper zu meiden. Sie stammen unter anderem aus Experimenten eines Teams um die Virologen Theodora Hatziioannou und Paul Bieniasz von der Rockefeller University in New York City. Die Forscher veränderten einen Krankheitserreger bei Nutztieren gentechnisch derart, dass die Viren das Spike-Protein von Sars-CoV-2 besaßen, und vermehrten das Virus in Gegenwart von neutralisierenden Antikörpern. Ihr Ziel: natürliche Mutationen zu identifizieren, die es dem Spike-Protein ermöglichen, sich der Antikörperabwehr zu entziehen. Tatsächlich förderten die Experimente von Hatziioannou und Bieniasz Spike-Protein-Mutanten zu Tage, die gegen Antikörper aus dem Blut von Menschen resistent waren, welche Covid-19 bereits einmal durchgemacht hatten. Resistent waren diese Viren außerdem gegen bestimmte monoklonale Antikörper, die speziell für die Therapie entwickelt worden waren. Jede der getesteten Spike-Mutationen war aus Virussequenzen von Covid-19-Patienten isoliert worden, berichten Hatziioannou, Bieniasz und ihr Team – wenn auch mit sehr geringer Verbreitung. Zumindest scheinen sich diese Mutationen also noch nicht durch positive Selektion verbreitet zu haben.
Um solchen Entwicklungen vorzubauen, versuchen andere Forscher heute vorherzusagen, welche Mutationen künftig wichtig werden könnten. [...]
[...] Die meisten Mutationen hatten zwar gar keinen Einfluss oder verschlechterten seine Andock-Fähigkeiten. Einige wenige aber verbesserten sie, darunter Mutationen, die bereits in Proben von Menschen mit Covid-19 gefunden wurden. Allerdings fand Blooms Team bei keiner seiner Varianten Anzeichen für einen Selektionsvorteil. »Wahrscheinlich bindet das Virus ungefähr so gut an ACE2, wie es im Moment nötig ist«, sagt er.
Ob eine der Mutationen die Wirkung von Antikörpern vereitelte, testeten die Wissenschaftler allerdings nicht. Die Ergebnisse des Teams legen nahe, dass solche Veränderungen möglich sind. Gesichert sei das aber nicht, sagt Bloom.
Nach den Erfahrungen mit anderen Coronaviren zu urteilen, könnte es Jahre dauern, bis sich Mutationen dieser Art durchsetzen. Studien an gewöhnlichen Erkältungs-Coronaviren über mehrere Jahre hinweg haben zwar einige Anzeichen für solche Veränderungen gefunden. Doch ein Wandel hin zur Resistenz vollziehe sich nur langsam, sagt Volker Thiel, Virologe am Institut für Virologie und Immunologie in Bern. »Diese Stämme bleiben mehr oder weniger gleich.«
[...] Mit zunehmender bevölkerungsweiter Immunität, sei es durch Infektion oder Impfung, könnte allerdings ein stetes Rinnsal entsprechender Mutationen dem Virus helfen, sich dauerhaft zu etablieren, sagte Sheahan. Dann könnte es bei Menschen, die eine gewisse Restimmunität aus einer früheren Infektion oder Impfung haben, milde Symptome verursachen. »Es würde mich nicht überraschen, wenn uns das Virus als ein normales Erkältungsvirus erhalten bliebe.« Es ist aber auch möglich, dass unsere Immunreaktion auf Infektionen mit Coronaviren einschließlich Sars-CoV-2 nicht stark oder langlebig genug ist, um einen Selektionsdruck auf das Virus auszuüben, der deutlich veränderte Virusstämme hervorbringt.
Gefährliche Mutationen könnten auch dann häufiger auftreten, wenn Antikörpertherapien nicht klug eingesetzt werden – etwa wenn Menschen mit Covid-19 einen einzigen Antikörpertyp erhalten, der durch eine einzelne Mutation des Virus seine Wirkung verliert. Cocktails aus monoklonalen Antikörpern, von denen jeder mehrere Regionen des Spike-Proteins erkennt, würden die Wahrscheinlichkeit mindern, dass solche Mutationen sich durch natürliche Selektion verbreiten. Impfstoffe sind in dieser Hinsicht nicht besonders problematisch, da sie, wie die natürliche Immunantwort des Körpers auch, die Produktion einer Reihe verschiedener Antikörper provozieren.
Es ist sogar möglich, dass die D614G-Mutation das Coronavirus empfindlicher gegen Impfstoffe machen könnten. [...]
Das zumindest ist das Resultat einer Studie, die Montefioris Team im Juli 2020 auf medRxiv veröffentlicht hat. Darin erhielten Mäuse, Affen und Menschen experimentelle RNA-Impfstoffe, darunter einen, der vom Arzneimittelhersteller Pfizer in New York City entwickelt wird. Wie sich zeigte, blockierten die Antikörper, die die Impfungen hervorriefen, G-Viren wirksamer als D-Viren.
G-Viren sind inzwischen allgegenwärtig. Insofern ist dieses Ergebnis »eine gute Nachricht«, findet Montefiori. Doch als ein Wissenschaftler, der gesehen hat, wie sich HIV bislang einem Impfstoffkandidaten nach dem anderen entzogen hat, will er das Potenzial nicht unterschätzen, das auch Sars-CoV-2 immun gegen unseren Verteidigungsstrategien machen könnte. Luban stimmt zu: »Wir müssen, was Veränderungen des Virus angeht, wachsam bleiben.«
Siehe dazu sehr ausführlich die Quelle:
https://www.spektrum.de/news/das-coronav...m_content=heute
Kommentar
Als kurzes Resümee lässt sich daraus ableiten, dass das Virus derzeit nur langsam mutiert, sich bislang als wenig mutationsfreudig erwiesen hat und teilweise in einzelnen Mutationsformen sogar schwächt. Daraus sollte man angesichts der Erfahrungen mit beispielsweise dem HIV-Virus aber nicht eine dauerhafte "Ungefährlichkeit" dieses Virus ableiten, was die weiter mögliche Enststehung noch stärker gesundheitsschädlicher oder infektiologisch risikoreicherer Abwandlungen betrifft. Denn allerdings nicht allgemeingültige Ergebnisse von Laborstudien haben bislang mehrfach darauf hingewiesen, dass das Virus infektiöser geworden ist.
Es heißt auf jeden Fall wachsam bleiben, um keine bösen Überraschungen zu erleben. Vigilia pretia Sanitatis (Wachsamkeit ist der Preis der Gesundheit).