FAZ.net - "FOLGESCHÄDEN VON COVID-19: Nerven und Blut im Corona-Trauma"
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Infektionen mit Sars-CoV-2 ziehen das Nervensystem oft erheblich in Mitleidenschaft. Die Bandbreite an neurologischen Störungen ist dabei erheblich. So umfasst sie unter anderem einen Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, Kribbeln und Taubheitsgefühle in den Gliedmaßen, starke Erschöpfung nach geringster Belastung, ruhelose Beine und Muskelschmerzen. Aber auch Schwierigkeiten, Texte zu verstehen, Satzabbrüche und Konzentrationsschwäche fallen in die Kategorie Neuro-Covid, wie die neurologischen Folgen der Covid-19-Krankheit genannt werden. Worauf diese genau beruhen, ist zwar noch offen. Von zentraler Bedeutung scheinen dabei gleichwohl eine Dysbalance des Immun- und des Gerinnungssystems einerseits und Gefäßentzündungen andererseits zu sein.
Schon zu Beginn der Pandemie ist einigen Forschern aufgefallen, dass Covid-19 den Blutbahnen in erheblichem Maße zusetzt. Besonders betroffen ist hiervon die Gefäßinnenhaut, das Endothel. In unmittelbarem Kontakt mit dem Blut, besitzt diese dünne Zellschicht eine Vielzahl wichtiger Aufgaben. So schützt sie die Gefäße vor schädigenden Einflüssen, unterdrückt die Blutgerinnung und schüttet zudem Botenstoffe aus, die den lokalen Blutfluss je nach Bedarf erhöhen oder verringern. Funktionsstörungen dieses Multitasking-Talents beeinträchtigen die Durchblutung dabei sowohl direkt als auch indirekt, und zwar, indem sie die Gefäßerweiterung unterbinden und die Gerinnselbildung begünstigen. Als Systemerkrankung kann Covid-19 nicht nur die Gefäße der Lunge schädigen, sondern erheblich auch jene des Herzens, des Darms und weiterer Organe. Frühe Belege für einen solchen Zusammenhang haben Wissenschaftler um die Pathologin Zsuzsanna Varga vom Universitätsspital Zürich vorgelegt.
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Wie die beobachteten Entzündungen genau zustande kommen, lässt sich noch nicht mit Sicherheit sagen. Zur Diskussion steht unter anderem eine lokale, starke Vermehrung von Sars-CoV-2. Was die Gefäße angeht, spricht in der Tat einiges für einen solchen Hergang: zum einen ist das Endothel teils dicht bestückt mit jenen ACE2 genannten Proteinen, über die sich Sars-CoV-2 Zugang in die Zellen verschafft; und zum anderen wurde das neue Coronavirus wiederholt in der Gefäßwand nachgewiesen. Ob und wie sehr ein direkter Virenbefall die Endothelentzündungen vorantreibt, ist allerdings noch ungewiss.
Eine der häufigsten Langzeitbeschwerden
Keine nennenswerte Rolle spielt dieser offenbar bei den neurologischen Störungen, die so viele Patienten auch noch Monate nach der akuten Infektion plagen. Nur wenige Wissenschaftler konnten Sars-CoV-2 jedenfalls in der Rückenmarksflüssigkeit oder auch im Nervengewebe von Neuro-Covid-Patienten nachweisen. Auch die als virale „Räuberleiter“ genutzten ACE2-Proteine scheinen hier kaum vorzukommen. Ein schwerer Verlauf von Covid-19 reaktiviert andererseits mitunter Herpes zoster – den Erreger der Windpocken und der Gürtelrose – und andere nervenaffine Viren, die sich nach einer Erstinfektion zeitlebens im Nervensystem verstecken. In diese Richtung weisen unter anderem die Erkenntnisse von Ärzten um Ummehan Ermis von der Klinik für Neurologie der Universitätsklinik in Aachen. Denkbar ist daher, dass die neurologischen Störungen bei einem schweren Covid-19-Verlauf zumindest teilweise auf das Wiedererwachen von schlummernden Viren zurückgehen. In der Mehrheit der Fälle, davon gehen zumindest viele Wissenschaftler aus, dürften sie gleichwohl auf eine Überreaktion des gestressten Immunsystems zurückgehen.
Wie häufig Neuro-Covid vorkommt und wie lange die dabei auftretenden Beschwerden anhalten, lässt sich noch nicht beantworten.[...] „Aus anderen Publikationen ist allerdings bekannt, dass neurologische Symptome zu den häufigsten Langzeitbeschwerden nach Covid-19 gehören.“ Was die Behandlung der Betroffenen angeht, richte sich diese nach den jeweiligen Symptomen. Denn bislang verfüge man noch über keine wissenschaftlich fundierten Therapien gegen Long-Covid. Als besonders große therapeutische Herausforderung bezeichnete Knauss die Fatigue, das häufigste Langzeitsymptom nach Covid-19. Dabei handelt es sich um starke Abgeschlagenheit, die sich nach Belastung oft dramatisch verschlimmert.
Fatigue, „Brain Fog“ und Kurzatmigkeit
[...] So scheinen zwei sehr unterschiedliche Verfahren in der Lage zu sein, die Qualen der Betroffenen zum Teil dramatisch zu lindern. Dazu zählt eine Impfung gegen Covid-19, die offensichtlich bei vielen Patienten auch therapeutische Effekte erzielen kann. [...] Wie die britische Selbsthilfegruppe LongCovidSOS, die Organisatorin des Projekts, auf ihrer Website schreibt, hatten mehr als 70 Prozent der Probanden angegeben, seit mindestens neun Monaten unter starken Beschwerden zu leiden. Diese waren fast durchweg neurologischer Natur und umfassten, um nur die häufigsten zu nennen, Fatigue, Bewusstseinstrübungen („Brain Fog“), Kurzatmigkeit, Muskelschmerzen und Herzklopfen. Nach der Impfung besserten sich die Symptome von 57 Prozent der Versuchspersonen deutlich, und das oft schon Tage nach Applikation der ersten Dosis. Demgegenüber blieben sie bei 25 Prozent von ihnen gleich und nahmen bei den übrigen Umfrageteilnehmern sogar noch weiter zu.
Noch aussichtsreicher, wenngleich ebenfalls noch in keinem Peer-Review-Journal erschienen, sind die Resultate eines Blutwäscheverfahrens mit der sperrigen Bezeichnung Heparin-induzierte Extrakorporale LDL/Fibrinogen-Präzipitation, kurz „Help-Apherese“. Entwickelt 1984 von dem Labormediziner Dietrich Seidel, ehemals Direktor der Ludwig-Maximilians-Universität München, dient diese Methode zur Behandlung von Personen, die aufgrund exzessiver Blutfettwerte in erheblichem Maße von Herzinfarkten und anderen atherosklerotisch bedingten Gefäßverschlüssen bedroht sind. Hiermit gelingt es, das Auftreten neuer Infarkte bei den Patienten um mehr als 90 Prozent zu senken. [...] „Die Prozesse, die bei atherosklerotischen Erkrankungen ablaufen, ähneln in vielerlei Hinsicht jenen von Covid-19. Denn dabei sind die dieselben sich gegenseitig bedingenden und verstärkenden Faktoren am Werk: Toxische Blutbestandteile, entzündliche Veränderungen der Gefäßwand und eine erhöhte Neigung zur Gerinnselbildung.“
Help-Apherese soll helfen
Sowohl die Atherosklerose als auch Covid-19 erhöhten daher das Risiko für bedrohliche Durchblutungsstörungen. Denn an den entzündlich veränderten Gefäßwänden bildeten sich leicht Gerinnsel, die je nach Größe den Blutfluss mehr oder weniger stark behindern. „Die Help-Apherese entzieht dem Blut aber nicht nur Fette, sondern auch etliche Gerinnungsfaktoren und Entzündungsstoffe“, so die Ärztin. Keinen Einfluss gebe es dagegen bei den im Blut zirkulierenden Zellen. Daher werde die Methode weder die Körperabwehr beeinträchtigen noch das Blutungsrisiko erhöhen.
Auf eigene Kosten und umgeben von skeptischen Kollegen, hat Frau Jaeger ihre Hypothese in den vergangenen Monaten auf den Prüfstand gestellt. Inzwischen hat sie 16 Personen, die an schwersten Long-Covid-Symptomen litten, mit dem Verfahren behandelt. Die Ergebnisse sind beachtlich: So haben sieben Patienten fast keine Beschwerden mehr und die übrigen fühlen sich maßgeblich besser. [...]
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Siehe dazu sehr ausführlich die Quelle:
https://www.faz.net/aktuell/wissen/coron...sxinjboT7uCTeQa