ZEIT ONLINE - "Corona-Hygiene: Desinfizieren, aber richtig"
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Welches Desinfektionsmittel wirkt wogegen?
Desinfektionsmittel bestehen aus Stoffen wie zum Beispiel Alkohol, Natriumhypochlorit oder Peressigsäure, die antimikrobiell wirken, also die Strukturen von Zellen oder Viren so weit schädigen, dass sie absterben oder inaktiv werden. Sie werden vor der Zulassung nach verschiedenen DIN-Verfahren getestet. Der Verbund für Angewandte Hygiene (VAH) und das Robert Koch-Institut (RKI) stellen Listen von zugelassenen Desinfektionsmitteln zur Verfügung.
Diese Hygienemittel haben unterschiedliche Wirkspektren, deswegen müsse man bei der Auswahl immer genau prüfen, gegen welchen Erregertypen sie eingesetzt werden sollen, sagt der Chemiker Ralf Dieckmann, stellvertretender Leiter der Fachgruppe Produkthygiene und Desinfektionsstrategien am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
Ein Desinfektionsmittel, das gleichzeitig sowohl alle Viren als auch Bakterien und Sporen tötet, existiere nicht. Vielmehr gibt es Produkte, die bakterizid (gegen Bakterien), viruzid (gegen Viren), sporozid (gegen Sporen) oder fungizid (gegen Pilze) wirksam sind. Da aber auch nicht alle Bakterien oder Viren gleich sind, muss auch innerhalb der einzelnen Wirkspektren differenziert werden.
Um das Coronavirus abzutöten, eignen sich Mittel, die als "begrenzt viruzid", "viruzid" und "viruzid plus" gekennzeichnet sind. Bei der Auswahl sollte außerdem darauf geachtet werden, was man desinfizieren will: Hände oder Flächen? Welches Mittel wo eingesetzt werden darf, steht auf der Flasche.
Reichen Wasser und Seife?
Das BfR sagt: Zum Säubern der Hände genügt es im normalen Alltag, sie gründlich mit Wasser und Seife zu waschen. Denn Sars-CoV-2 ist ein behülltes Virus. Seine Hülle besteht aus Lipiden, das sind Fette, und da Seife fettlösend ist, kann sie die Hülle und damit das Virus zerstören.
Seifenmoleküle bestehen aus zwei Enden, das eine mag Wasser, das andere Fett. Das fettliebende Ende dockt an der Hülle des Coronavirus an, während sich das andere Ende mit dem Wasser verbindet. So ziehen die Molekülenden in unterschiedliche Richtungen und zerreißen die Fetthülle.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfiehlt, die Hände 20 bis 30 Sekunden lang zu waschen, bis zu den Handgelenken, zwischen den Fingern und um die Daumen. So hat die Seife genug Zeit, die Fetthülle zu zerstören. Virenreste werden anschließend mit Wasser abgewaschen. Die Temperatur des Wassers spielt dabei keine Rolle. Zum Abtrocknen eignen sich Einmalhandtücher, zu Hause sollte jeder sein eigenes Handtuch benutzen.
Wann brauche ich Handdesinfektion?
Desinfektionsmittel für die Hände brauche man vor allem in Situationen, in denen zum Waschen keine Zeit oder keine Gelegenheit sei, zum Beispiel im Krankenhaus, sagt Iris Chaberny, Direktorin des Instituts für Hygiene, Krankenhaushygiene und Umweltmedizin in Leipzig. Oder dann, wenn man es mit einem besonders hartnäckigen Erreger wie dem Norovirus zu tun habe.
Die Mittel sind derzeit außerdem dort wichtig, wo Menschen Kontakt zu nachweislich Corona-Infizierten haben. Wer also mit jemandem in einem Haushalt lebt, der positiv getestet wurde, kann in der Zeit auf ein solches Mittel zurückgreifen. Wer in Corona-Zeiten draußen unterwegs ist, zum Beispiel in Bus und Bahn, könne die Hände schon auch zwischendurch desinfizieren, sagt Andrea Bauer, Oberärztin für Dermatologie am Universitätsklinikum Dresden.
Wie desinfiziere ich meine Hände richtig?
Empfohlen werden Mittel auf Alkoholbasis: meist 70-prozentiges Isopropanol oder 80-prozentiges Ethanol. Die Konzentration des Alkohols muss jedenfalls hoch genug sein, damit das Mittel wirksam ist. Dazu wird oft Wasserstoffperoxid gemischt, ein Stoff, der zusätzlich Sporen abtötet. Um die Hände vor dem Austrocknen zu schützen, ist meist auch eine rückfettende Substanz enthalten, zum Beispiel Glyzerin. Studien zeigen, dass Handdesinfektion auf lange Sicht sogar günstiger für die Haut ist als das häufige Waschen mit Seife, sagt die Dermatologin Andrea Bauer. Beim Kauf eines Mittels zur Handdesinfektion solle man aber unbedingt darauf achten, dass keine Duftstoffe enthalten sind, warnt sie. Diese könnten Allergien auslösen.
Achtung: Handgels aus dem Drogeriemarkt wirken häufig antibakteriell und nicht gegen Viren! Es empfiehlt sich deshalb, genau auf die Angaben des Herstellers zu schauen. [...]
Vor der Anwendung des richtigen Mittels sollten die Hände nicht übermäßig schmutzig und eher trocken sein. Der Chemiker Ralf Dieckmann vom BfR sagt: "Essenziell wichtig ist die richtige Dosierung, das heißt die Konzentration und die Einwirkzeit." Viele nehmen zu wenig Mittel oder verreiben es nicht lange genug.
Man verteilt circa drei Milliliter Handdesinfektionsmittel auf den Innen- und Außenflächen der Hände, den Handgelenken, zwischen den Fingern sowie an den Daumen und Fingerkuppen und lässt alles etwa 30 Sekunden einwirken.
Das Desinfektionsmittel reduziert je nach Wirkspektrum Viren, Bakterien oder Pilze, die sich auf der Haut angesiedelt haben und übertragen werden können. "Aber sobald ich etwas anfasse, werden meine Finger wieder verunreinigt", warnt die Hygieneexpertin Iris Chaberny.
Was tun gegen trockene Hände?
Vor allem sollten die Hände nicht zu oft gewaschen werden. "Das Schlimmste, was man machen kann, ist, aus lauter Angst 20-, 30-, 40-mal am Tag die Hände zu waschen. Dann hat man nämlich das Problem, dass man sich ein Ekzem ranwäscht", sagt die Dermatologin Bauer. Die Haut kann austrocknen, einreißen und sich entzünden.
Nach dem Händewaschen empfiehlt Bauer eine Pflegecreme – vor allem im Winter, wenn die Haut sowieso trockener wird. Eine Creme stabilisiere die Hautbarriere. Wichtig bei der Auswahl: Es sollten keine pflanzlichen Inhaltsstoffe, keine Duft-, Farb- und Konservierungsstoffe enthalten sein, denn die können Allergien auslösen. Je trockener die Haut, desto reichhaltiger sollte die Pflege sein. "Wenn das Desinfektionsmittel auf der Haut brennt, ist die Hautbarriere bereits geschädigt. Das ist ein Warnsignal und zeigt, dass man seine Basispflege deutlich intensivieren muss", sagt Bauer. Nur dann habe die Haut eine Chance, sich zu regenerieren.
Außerdem wichtig: Nicht die Tüchlein für die Computertastatur zum Reinigen der Hände verwenden, denn die hier verwendete Substanz ist zu scharf und nicht für die Haut geeignet.
Anders Putzen in Corona-Zeiten?
Prinzipiell muss man auch in Pandemiezeiten nicht mit anderen Mitteln putzen als sonst. Im Haushalt sollten Desinfektionsmittel, etwa um Türklinken, Lichtschalter oder Waschbecken zu säubern, nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden. Das empfiehlt das Bundesinstitut für Risikobewertung schon seit Jahren. Ausnahmen sind zum Beispiel, wenn im Haushalt besonders empfindliche Personen oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen leben und ein Haushaltsmitglied mit Covid-19 infiziert ist. Aber auch dann sollen Desinfektionsmittel nur "nach ärztlicher Beratung und für einen begrenzten Zeitraum verwendet werden", sagt der Chemiker Ralf Dieckmann.
Bisher ist unklar, welche Rolle Schmierinfektionen, also die Übertragung von Viren über verunreinigte Oberflächen, bei der Ansteckung mit Sars-CoV-2 spielen. Die vorläufigen Studienergebnisse eines Teams der Bonner Universität um den Virologen Hendrik Streeck zeigen: Selbst in Haushalten, in denen Infizierte leben, finden sich auf Oberflächen wie Türklinken, wenn überhaupt, nur Fragmente von Viren, also Teile, die nicht mehr aktiv sind (medRxiv: Döhla/Wilbring et al., 2020, Preprint).
Die Forscherinnen und Forscher weisen trotzdem darauf hin, wie wichtig Hygiene im Haushalt ist. Es könne nämlich weiterhin nicht ausgeschlossen werden, dass Übertragungen auch über verunreinigte Oberflächen stattfinden. Um die Viren unschädlich zu machen, genügt es aber, Reiniger einzusetzen, die fettlösend sind – also alle handelsüblichen. Sie funktionieren nach dem gleichen Prinzip wie Seife beim Händewaschen. Für Waschmittel oder Reiniger mit antimikrobieller Wirkung gelte die gleiche Empfehlung des BfR wie für Desinfektionsmittel: Im Alltag sind sie überflüssig. Dieckmann sagt: "Es gibt keine Belege dafür, dass solche Mittel einen positiven Effekt haben und es weniger Infektionskrankheiten gibt, wenn man sie benutzt." Geht man davon aus, dass Textilien mit Sars-CoV-2 in Kontakt gekommen sind, könnten sie bei 60 Grad Celsius mit einem bleichmittelhaltigen Waschmittel gewaschen werden.
Auch vom Einsatz selbst hergestellter Desinfektionsmittel, beispielsweise auf Basis von Essig, Zitronensäure oder Alkohol, rät Dieckmann ab (einen ausführlichen Artikel dazu lesen Sie hier). Zwar haben diese Hausmittel durchaus eine desinfizierende Wirkung. Für Essig gibt es sogar schon vorläufige Studienergebnisse, die einen inaktivierenden Effekt in Bezug auf Sars-CoV-2 nahelegen (zum Beispiel Research Square: Yoshimoto et al., 2020, Preprint).
Alkohol ist sowieso ein bewährter Wirkstoff zur Desinfektion. Der Chemiker warnt jedoch: "Bei Naturprodukten können die Konzentrationen variieren und die Anwendungsbedingungen sind nicht spezifiziert." Wenn tatsächlich ein Haushaltsmitglied an Covid-19 erkrankt ist, müsse man sich darauf verlassen können, dass die verwendeten Mittel gezielt wirken. Außerdem birgt der Einsatz solcher Hausmittel Gesundheitsrisiken. Dieckmann: "Essigsäure ist in hohen Konzentrationen eine aggressive Chemikalie, die Verletzungen an der Haut oder den Augen hervorrufen kann."
Was ist mit UV-Licht als Virenkiller?
In Laboren wird UV-Licht schon lange zur Desinfektion eingesetzt und funktioniert sehr gut. Forscherinnen und Forscher aus Essen (AJIC: Heilingloh et al., 2020) haben UV-Licht kürzlich auch an Sars-CoV-2-Viren getestet: Neun Minuten Bestrahlung reichten, um die Krankheitserreger zu töten. Für den Privatgebrauch sei UV-Licht zur Desinfektion aber eher nicht zu empfehlen, sagt Ralf Dieckmann vom BfR. Schließlich hänge dessen Wirksamkeit von verschiedenen Faktoren ab: Strahlungsquelle, Abstand zur Oberfläche, Dauer der Bestrahlung.
"Bei vielen Geräten für den Hausgebrauch bleibt die Wirkung unsicher", sagt Dieckmann. Überdies kann die hochenergetische UV-C-Strahlung nicht nur Mikroorganismen wie Viren und Bakterien schädigen, sondern auch menschliche Zellen. Aus diesem Grund warnt auch das Bundesinstitut für Strahlenschutz vor dem Gebrauch entsprechender Lampen im Alltag. Im schlimmsten Fall könne es zu Verletzungen der Augen und Verbrennungen kommen.
Drängt die Corona-Hygiene schon andere Krankheiten zurück?
Zahlen des Robert Koch-Instituts lassen vermuten, dass wir durch die Corona-Maßnahmen auch sonst weniger oft krank werden: Die Zahlen von akuten Atemwegsinfekten und grippeähnlichen Erkrankungen liegen deutlich unter den Vorjahreswerten. Dies könnte vor allem ein Effekt sein, der durch das Abstandhalten, das Tragen von Alltagsmasken und das regelmäßige Lüften erzeugt wird, schätzt Ralf Dieckmann. Vermutlich haben auch das vermehrte Händewaschen sowie eine verbesserte Etikette beim Husten und beim Niesen positive Auswirkungen. "Desinfektionsmaßnahmen spielen eher eine untergeordnete Rolle", sagt der Experte. Allerdings werde man aus den jetzigen Erfahrungen vermutlich Lehren für zukünftige Pandemien oder auch für die normale jährliche Grippesaison ziehen können.
Ist übermäßige Hygiene ungesund?
Dank unseres Immunsystem brauchen wir nicht nur keine komplett sterile Umgebung. Es ist für uns langfristig sogar schädlich, wenn wir nicht genug Kontakt mit Bakterien, Viren und anderen Erregern haben, denn unser Immunsystem kommt dann aus der Übung. "Der Preis für eine Phase mit zu viel Hygiene ist, sich danach leichter anstecken zu können, womit auch immer", sagt Günter Kampf, Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin an der Universität Greifswald.
So erfüllen etwa Bakterien wichtige Aufgaben im Körper, auf der Haut, im Darm oder im Mund. Wir brauchen sie für das richtige Funktionieren unseres Organismus. Der Einsatz von Hygieneprodukten, die antimikrobiell oder desinfizierend sind, könnten deshalb auch kontraproduktiv sein, sagt der Chemiker Ralf Dieckmann. Die Forschung sei auf diesem Feld noch relativ am Anfang, man gehe aber davon aus, dass es negative Effekte hat, wenn das bakterielle Gleichgewicht auf der Haut und im Körper nachhaltig gestört wird. Desinfektionsmittel könnten eben nicht zwischen guten und potenziell schlechten Mikroorganismen auf der Haut unterscheiden.
Produziert die Welt gerade massenhaft resistente Keime?
Grundsätzlich könnten Bakterien und Viren unempfindlicher gegenüber Substanzen werden, die in Desinfektionsmitteln enthalten sind, sagt der Chemiker Dieckmann. Das konnte in Laborexperimenten nachgewiesen werden. Inwieweit der vermehrte Einsatz von Desinfektionsmitteln in der Corona-Pandemie aber zur Verbreitung von Resistenzen beitragen kann, sei unklar.
Forscherinnen und Forscher aus Graz haben in einer Studie von 2019 gezeigt, dass sich in Räumen, die ständig gereinigt und desinfiziert werden, vermehrt Bakterien finden lassen, die resistent gegen Antibiotika sind (Nature: Mahnert et al., 2019). Dafür haben sie sehr saubere Räume wie zum Beispiel Intensivstationen mit anderen öffentlichen Räumen verglichen.
Hygienefacharzt Kampf hat schon zu Resistenzen gegenüber Desinfektionsmitteln geforscht. Aus seiner Sicht sind zumindest Handdesinfektionsmittel unproblematisch, denn sie bestehen weitgehend aus Alkohol. "Der Wirkstoff verdunstet innerhalb von 20 bis 30 Sekunden, so schnell können sich Bakterien gar nicht anpassen." Flächendesinfektionsmittel seien gefährlicher, sie haben oft andere Wirkstoffe. "Da kann es je nach Zusammensetzung durchaus zu Resistenzen kommen", sagt Kampf. Deshalb rät er, in öffentlichen Bereichen wie im Supermarkt oder im Museum auf Flächendesinfektionsmittel zu verzichten. Da reiche ohnehin eine normale Reinigung.
Und was ist mit dem Gerücht, Desinfektion mache unfruchtbar?
Quartäre Ammoniumverbindungen (Quats), die in Flächendesinfektionsmitteln eingesetzt werden, stehen im Verdacht, die Fruchtbarkeit bei Tieren zu beeinträchtigen. Eine Studie von 2015 hat die Substanz an Mäusen getestet und gezeigt, dass tatsächlich deren Zeugungs- beziehungsweise Empfängnisfähigkeit eingeschränkt wird (Reproductive Toxicology: Melin et al., 2015). Eine neuere Studie von 2020 legt nahe, dass Quats bei regelmäßigem Kontakt auch Einfluss auf den menschlichen Körper haben könnten (medRxiv: Hrubec et al., 2020, Preprint). Ob sie aber tatsächlich die Fruchtbarkeit von Menschen stören, wird noch erforscht.
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Siehe dazu die Quelle:
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/co...0mrt?li=BBqg6Q9
Bleiben Sie gesund !