FOCUS ONLINE Gesundheit - "Corona-Infektion über die Luft - Großer Aerosol-Gebäude-Check: Das Ansteckungsrisiko hängt von einem Wert ab"
"Mittwoch, 12.08.2020, 10:04
Anfangs unterschätzt, betonen Virologen zunehmend die Bedeutung der winzigen Schwebeteilchen in der Luft, derer sich das Coronavirus als Vehikel bedient. Gebäudetechnik-Professor Martin Kriegel erklärt, was das für Büros, Schulen und Restaurants bedeutet.
An bis zu jeder zweiten Corona-Infektion sind Aerosole schuld. So postulierte es Deutschlands Chef-Virologe Christian Drosten bereits Ende Mai. Seither untermauern verschiedene Studien die Bedeutsamkeit der kleinen Partikel in der Virus-Pandemie, die für das menschliche Auge unsichtbar durch die Luft wabern. Anders als die Anderthalb-Meter-Abstandregel gegen Infektionen per Tröpfchen tun sich Wissenschaftler allerdings auch drei Monate danach noch schwer, ein probates Mittel gegen die potenziell virenbeladenen Kleinstteilchen zu finden und damit das Ansteckungsrisiko zu reduzieren.
Zu viele Fragen sind zu ihren Eigenschaften bislang offen, erläutert Martin Kriegel im Gespräch mit FOCUS Online. Die zentralen vier sind:
Wie viele Viren muss ich einatmen, damit ich mich anstecke?
Wie viele Viren transportiert ein Aerosol-Teilchen?
Trägt jedes Aerosol, das ein Infizierter ausatmet, Viren mit sich oder nur zum Beispiel jedes zehnte?
Wie lange bleiben die Viren auf den Aerosol-Partikeln aktiv und damit ansteckend?
„Wenn wir all das wüssten, könnte ich genau sagen, wie welche Räume zu belüften sind, um die Aerosol-Gefahr zu minimieren“, sagt der Professor für Gebäudetechnik und Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts der TU Berlin. „Genau diese Faktoren sind bisher aber völlig unklar. Das macht das Formulieren von konkreten Regeln schwierig bis unmöglich.“
Was wir über Aerosole bisher wissen
Aerosol-Teilchen schweben – unabhängig davon, ob sie das Coronavirus gerade als Vehikel in unsere Schleimhäute missbraucht oder nicht – andauernd in der Luft. Sie sind so leicht, dass sie über Tage nicht zu Boden sinken und wabern mit jeder kleinen Luftbewegung wie unsichtbarer Rauch mit. Die meisten Bewegungen sind dabei so fein, dass sie der Mensch nicht einmal wahrnimmt. „Die winzigen Aerosole verteilen sich dadurch aber innerhalb weniger Minuten im gesamten Raum. Atmet ein Infizierter aus, atmen sie andere Personen im Raum zwangsläufig irgendwann ein“, führt Kriegel aus. Die Frage ist nur: Wie lange und wie intensiv muss die Belastung der eingeatmeten Aerosole sein, damit sie zu einer Infektion führt?
Weil die Antwort darauf bisher weder Drosten noch andere Virologen geben können, lautet die einzige Faustregel momentan: möglichst gering. Herbeiführen lässt sich das vor allem durch maximale Frischluftzufuhr in Innenraumen, betont Gebäudetechniker Kriegel. „Je öfter wir die Luft in Räumen austauschen, desto geringer ist die Konzentration möglicher Viren und damit die Ansteckungsgefahr – und desto länger kann ich mich mit einem unbekannterweise Infizierten in einem Raum aufhalten, ohne mich anzustecken.“
CO2-Ampeln als einziges Kontrollinstrument
Die Virenkonzentration in der Luft ist damit der zentrale Parameter für das Aerosol-Risiko; die Temperatur hingegen völlig irrelevant. [...]
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Der Professor für Gebäudetechnik fordert deshalb die Aufrüstung von Büros und Schulen mit sogenannten CO2-Ampeln. „Sie sind der einzige Anhaltspunkt dafür, wie gut wir lüften“, erläutert er. Die Ampel-Skala bildet dabei die CO2-Konzentration in einem Raum ab und zeigt an, wann das vom Menschen ausgeatmete Gas einen bestimmter Grenzwert überschreitet und damit ein erhöhter Lüftungsbedarf besteht.
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Ebenfalls helfen gegen Ansteckungen über Aerosole, können Mund-Nasen-Bedeckungen – wenngleich in deutlich geringerem Ausmaß. Die Stoffschutze vor Mund und Nase schützen andere primär vor Übertragungen des Virus über die größeren Tröpfchen, die etwa beim Sprechen, Husten oder Niesen entstehen. Wer nicht mindestens 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen einhalten kann, sollte sie deshalb tragen. Aerosole können sie nicht abfangen, rund 90 Prozent davon gehen an den Rändern einfach vorbei.
Was taugt Drostens Ventilator-Vorschlag?
Weniger empfehlenswert nennt der Klima-Experte Ventilatoren. Christian Drosten hatte sie, am Fenster platziert, vor einigen Wochen ins Gespräch gebracht. Sie sollten eine Möglichkeit darstellen, die Belüftung durch geöffnete Fenster zu verstärken. Kriegel gibt allerdings zu bedenken: „Ventilatoren saugen Luft nicht aus einer bestimmten Richtung ein. Es kann also auch sein, dass ich damit belastete Raumluft nur umwälze oder noch weiter in den Raum hineinblase und gleichzeitig verhindere, dass frische Luft einströmen kann. Deswegen halte ich den Effekt von Ventilatoren für fraglich. Meiner Meinung nach wähnt man sich dadurch in falscher Sicherheit.“
Für die verschiedenen Settings nennt Kriegel dennoch wichtige Lerneffekte [...]
Büros: [...]
Für das Lüften gilt laut Kriegel: Mindestens fünf Minuten am Stück alle 20 Minuten bei einer insgesamt möglichst kurzen Aufenthaltsdauer. Eine Kombination aus Präsenz und Homeoffice wäre besser.
Schulen: [...]
Eine Stoßlüftung pro Pause, wie sie viele der aktuellen Hygienekonzepte vorsehen, sei nach nach 45 Minuten Unterricht, in dem sich die Aerosole unbehelligt im Raum verteilt haben, mitnichten ausreichend.
Kriegel fordert für Schulen daher eine an die Aerosol-Gefahr angepasste Strategie: Anstelle von 45 Minuten Unterricht und fünf Minuten Pause, seien 30-Minuten-Einheiten mit anschließend 15 Minuten Pause sinnvoller, um das leere Klassenzimmer dann intensiv zu lüften. Durch eine längere Pause könne der Raum damit von Aerosolen fast „freigespült“ werden. Außerdem trage eine verkürzte Aufenthaltsdauer dazu bei, das Risiko einer Infektion zu verringern.
Restaurants und Bars: [...]
Kinos: [...]"
Ausführlich dazu die Quelle:
https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber...tter_GESUNDHEIT
Kommentar
Leider enthält der Bericht eine sprachliche Schwachstelle: bei der Antwort "möglichst gering" hätte die Frage lauten müssen, "wie lange und wie intensiv muss die Belastung der eingeatmeten Aerosole sein, damit sie zu keiner Infektion führt".