WELT - „Die Impfung ist nicht die Wunderwaffe, mit der sofort alles wieder normal wird“
"Emer Cooke ist Chefin der EMA. Der Behörde, die entscheidet, ob der Impfstoff von Biontech und Pfizer auch in der EU zugelassen wird. Gegenüber WELT erklärt sie, warum das Verfahren so lange dauert – und ob ihre Experten Nebenwirkungen beobachtet haben.
Emer Cooke, die Chefin der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA Quelle: EMA© EMA Emer Cooke, die Chefin der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA Quelle: EMA
Nach der Zulassung des ersten Covid-19-Impfstoffs in Großbritannien steigt der Druck auf Europas Aufseher, zügig zu einer Entscheidung zu kommen.
Dennoch gehe es nicht um Tempo, sondern vor allem um Sicherheit, sagt die neue Chefin der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), die irische Pharmazeutin Emer Cooke.
Ein Bürgerdialog in dieser Woche soll dabei helfen, die Öffentlichkeit über die Impfungen gegen die Pandemie aufzuklären.
Im Gespräch mit WELT und weiteren Partnerzeitungen der Leading European Newspaper Alliance (LENA) aus sechs europäischen Ländern hat sich Europas oberste Arzneimittelwächterin, die seit gerade einmal vier Wochen im Amt ist, erstmals einigen wichtigen Fragen bereits vorab gestellt.
WELT: Ihre Behörde will am 29. Dezember ein Urteil über den Impfstoff von Pfizer und Biontech abgeben. Können wir also noch mit Zulassung in diesem Jahr rechnen?
Emer Cooke: Wir werden an diesem Tag auf einer außerordentlichen Sitzung über den Impfstoff von Biontech und Pfizer beraten. Unser Expertengremium trifft sich bereits diese Woche, um wichtige Fragen vorab zu klären. Vieles findet derzeit ja parallel statt, um so zügig wie möglich zu einer Entscheidung zu kommen.
WELT: Bei Biontech geht das zügiger als beim Impfstoff des US-Herstellers Moderna. Warum eigentlich?
Cooke: Wir sind beim Biontech-Impfstoff schneller, weil wir bereits seit dem 6. Oktober viele Daten dieses Vakzins im Rahmen unseres sogenannten Rolling Review Prozesses auswerten. Falls wir am 29.12. zu dem Ergebnis kommen sollten, dass die Vorteile dieser Impfung mögliche Risiken überwiegen, würden wir eine bedingte Marktzulassung empfehlen.
Danach muss die EU-Kommission ihre offizielle Erlaubnis geben. Erst dann wäre die Impfung tatsächlich hier zugelassen. Brüssel hat bereits angekündigt, nach unserem Urteil binnen weniger Tage entscheiden zu wollen. Ob das noch dieses oder erst kommendes Jahr sein wird, liegt nicht in unserer Hand.
WELT: In Großbritannien wird der Impfstoff von Biontech und Pfizer mittlerweile dank einer Notfallzulassung bereits verimpft. Sind die britischen Arzneiaufseher zu schnell gewesen – oder Sie schlicht zu langsam?
Cooke: Lassen Sie es mich so formulieren: Es geht bei uns in der EU um eine bedingte Marktzulassung. Diese erteilen wir nur dann, wenn wir uns sicher sind, dass das Produkt sicher, qualitativ hochwertig und wirksam ist. Wenn wir wissen, dass es in gleichbleibender Qualität produziert werden kann und der Bevölkerung in der EU wirklich nützt.
Es geht bei der bedingten Marktzulassung also um ein nach strengen Regeln autorisiertes Produkt. Eine Notfallzulassung hingegen ist die Erlaubnis, ein Produkt, das noch nicht offiziell zugelassen ist, zeitweise nutzen zu können.
WELT: Dennoch: Wie groß ist der politische Druck auf Sie, nun schnell nachzuziehen?
Cooke: Der Zulassungsprozess für Arzneien in Europa ist vollkommen unabhängig. Wir fühlen uns politisch in keinster Weise unter Druck gesetzt. Es geht hier um Wissenschaft, nicht um Politik. Allerdings sind wir uns unserer Verantwortung gegenüber der Bevölkerung sehr bewusst. Da empfinden wir Druck. Es ist unsere Pflicht, einen guten Job zu machen.
WELT: Trotzdem macht das hohe Tempo bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 vielen Menschen Sorgen.
Cooke: Es sollte allen bewusst werden, dass das Tempo zwar hoch ist, aber gleichzeitig auch die verfügbaren Informationen viel umfangreicher als sonst. Es wurden im Rahmen der klinischen Studien jeweils mehr als 30.000 Probanden geimpft.
Das ist deutlich mehr, als das bei vielen anderen Produkten der Fall war, die längst zugelassen sind. Angesichts der großen Datenmengen bei den Covid-19-Vakzinen kann man daher schon jetzt Rückschlüsse über Sicherheit und Wirksamkeit ziehen, obwohl alles so schnell ging. Und die Studien gehen ja weiter.
WELT: Dennoch kursieren krude Verschwörungstheorien über die Impfungen. Wie sehr macht Ihnen das Sorgen?
Cooke: Das ist eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Umso wichtiger ist es, dass wir als EMA transparent mit den Daten umgehen. Die Öffentlichkeit soll wissen: Wir versuchen nicht, irgendetwas zu verstecken. Genau deshalb starten wir am 11. Dezember auch einen Bürgerdialog über die Impfungen. Wir müssen uns mit allen Mitteln gegen die Falschinformationen stemmen. Auch die Medien sind da gefordert.
WELT: Was kann eigentlich auf den letzten Metern vor der Zulassung noch schief gehen?
Cooke: Wir prüfen im Moment die Dokumentation der klinischen Studien, und das machen wir so gründlich wie immer. Unsere Experten hier bei der EMA und aus den 27-EU-Staaten sind alle in diesen Zulassungsprozess involviert, und sie haben noch viele Fragen.
Bevor wir unser Urteil abgeben, wollen wir sicherstellen, dass wir ausreichende Antworten bekommen. Ich will gar nicht vorgeben, welche Nebenwirkung zu einem Aus führen könnte. Das steht einer einzelnen Person nicht zu. Wichtig ist, dass unsere Impfstoffexperten zufrieden sind mit dem Produkt. Sind sie es nicht, wird es dafür Gründe geben. Und dann werden wir diese Gründe transparent machen.
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Auch die gesammelten Erfahrungen während der Schweinegrippe 2009 und während des Ebola-Ausbruchs 2014 erweisen sich jetzt als sehr wertvoll. Es ist definitiv eine herausfordernde Zeit – aber auch eine gute Möglichkeit, um zu beweisen, dass wir alles tun, um die Gesundheit der Bürger zu schützen.
Emer Cooke ist seit dem 16. November 2020 die erste Direktorin der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Die studierte Pharmazeutin war für die pharmazeutische Abteilung der EU-Kommission tätig. Dann wechselte sie von 2002 bis 2016 zur EMA, wo sie die Abteilung für Inspektionen leitete. Es folgten vier Jahre bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), bevor sie schließlich wieder zur EMA zurückkehrte. Cooke ist dort für die Amtszeit von fünf Jahren berufen."
Lesen Sie das vollständige Interview unter der Quelle:
https://www.msn.com/de-de/nachrichten/co...KKiZ?li=BBqg6Q9