Handelsblatt - "Ugur Sahin: „Habe mich gewundert“ – Zögern der EU bei Impfstoff-Bestellung überrascht Biontech-Chef"
"Die EU war bei der Bestellung langsamer als andere Partner, sagt Ugur Sahin. Außerdem skizziert der Biontech-Chef, wann und wie sein Konzern den Impfstoff weiterentwickelt.
Die zögerliche Impfstoff-Bestellung der Europäischen Union (EU) sorgt für Verwunderung beim Chef des Mainzer Forschungsunternehmens Biontech, Ugur Sahin. Der Prozess in Europa sei wegen des Mitspracherechts der einzelnen Länder nicht so schnell und geradlinig abgelaufen wie anderen Ländern, sagte der Krebsforscher dem „Spiegel“.
Die EU habe zudem auch auf andere Hersteller gesetzt, die nun doch nicht so schnell liefern können. „Offenbar herrschte der Eindruck: Wir kriegen genug, es wird alles nicht so schlimm, und wir haben das unter Kontrolle“, sagte Sahin: „Mich hat das gewundert.“ Derzeit sehe es hinsichtlich der insgesamt verfügbaren Impfstoffe gegen Covid-19 „nicht rosig“ aus, „weil weitere zugelassene Impfstoffe fehlen und wir mit unserem Impfstoff diese Lücke füllen müssen“, sagte Sahin.
Der Biontech-Chef versucht nun, neue Kooperationspartner zu gewinnen, die für sein Unternehmen produzieren. [...]
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Neue Generation in der Entwicklung
Sahin betonte allerdings die Komplexität bei der Herstellung von mRNA-Impfstoffen. „Da kann man nicht einfach umschalten, so dass statt Aspirin oder Hustensaft plötzlich Impfstoff hergestellt wird. Der Prozess braucht jahrelange Expertise und eine entsprechende bauliche und technologische Ausstattung.“
Außerdem erklärte Sahin die kurz- und mittelfristigen Pläne hinsichtlich der weiteren Forschung. Im Spätsommer könne außerdem eine weiterentwickelte Impfstoffgeneration bereitstehen, die auch bei weniger starker Kühlung transportiert werden könne, sagte Sahin. Kurz nach Weihnachten hatte es in Nordbayern offenbar Probleme mit der Kühlkette gegeben: Die Impfdosen waren zeitweise mit einer Temperatur über den erforderlichen acht Grad Celsius gekühlt worden. Rund 1000 Impfeinheiten wurden deshalb nicht genutzt, entgegen der Empfehlung von Bionech.
Ob der Impfstoff auch gegen die in England aufgetauchte, möglicherweise deutlich ansteckendere Mutation des Virus wirke, werde derzeit untersucht, führte Firmenchef Sahin aus: „Wir testen, ob unser Impfstoff auch diese Variante neutralisieren kann, und wissen bald mehr.“
Falls der Impfstoff dagegen nicht wirke, könne er „rein technologisch“ relativ einfach angepasst werden, was vielleicht sechs Wochen dauern würde, erklärte Sahin. Die Frage sei, ob die Zulassungsbehörden die bereits nachgewiesene Wirksamkeit und Sicherheit in diesem Fall weiter akzeptieren würden - andernfalls wäre eine neue Studie mit Zehntausenden Probanden nötig.
Diskussion über zweite Impfung
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Zuletzt hatte es Wirbel um die Lieferungen der Impfdosen an die Bundesländer gegeben. Die nächste Charge soll nun am 8. Januar eintreffen. „Wir haben in Deutschland auch durch die staatliche Unterstützung einen Impfstoff gegen das Virus entwickelt. Es ist nicht akzeptabel, dass dieser Impfstoff nach dem Impfbeginn nicht mal in der angekündigten Menge zur Verfügung steht“, kritisierte Schneider.
Diskutiert wird in Deutschland derzeit, ob man die nötige zweite Impfdosis später verabreichen sollte, um zunächst möglichst viele Menschen mit den knappen Vorräten zu impfen.
Die europäische Zulassungsbehörde EMA dämpfte nun die Erwartungen. Zwar sei eine Obergrenze für den zeitlichen Abstand zwischen den Dosen nicht explizit definiert, der Nachweis der Wirksamkeit basiere aber auf einer Studie, bei der die Verabreichung der Dosen im Abstand von 19 bis 42 Tagen erfolgte, erklärte die EMA am Freitag gegenüber dpa. Eine Verabreichung etwa im Abstand von sechs Monaten stehe nicht im Einklang mit den Bestimmungen. Eine solche Änderung würde demnach eine Änderung der Zulassung sowie mehr klinische Daten zur Unterstützung einer solchen Änderung erfordern.
Auch WHO erteilt Impfstoff-Zulassung
Derweil hat auch die Weltgesundheitsorganisation WHO grünes Licht für den Einsatz des besagten Impfstoffes gegeben. Am Silvestertag erhielt das Präparat eine Notfallzulassung, wie die WHO in Genf mitteilte.
Mit der WHO-Notfallzulassung können UN-Organisationen nun den Impfstoff von Biontech und Pfizer einkaufen und verteilen. Ebenso können Länder, die keine eigenen Kapazitäten für solche wissenschaftlichen Prüfungen haben, aufgrund der Vorarbeit der WHO eine Zulassung in ihrem Land erteilen. Die UN-Organisation prüft wie die Regulierungsbehörden einzelner Länder wissenschaftliche Studien zu neuen Medikamenten oder Impfstoffen und wägt die Risiken eines Einsatzes ab.
Der Impfstoff erfülle alle Sicherheits- und Wirksamkeitsanforderungen der WHO, hieß es. „Der Nutzen eines Einsatzes, um mit der Covid-19-Pandemie fertigzuwerden, wiegt mögliche Risiken auf“, teilte die WHO mit.
Auch der Impfstoff des britisch-schwedischen Konzerns Astrazeneca und der Universität Oxford ist inzwischen in weiteren Ländern im Einsatz. [...]
Die EU-Arzneimittelagentur EMA prüft das Mittel von Astrazeneca derzeit im sogenannten Rolling-Review-Verfahren. Dabei werden Daten von den Herstellern nach und nach eingereicht, die Prüfung und gegebenenfalls Zulassung des Impfstoffes sollen so beschleunigt werden. Anders als in Großbritannien erteile man in Europa keine Notfallzulassung, sondern eine „bedingte Marktzulassung“ – mit allen damit verbundenen Schutzmaßnahmen, Kontrollen und Verpflichtungen, teilte die EMA mit."
Siehe den vollständigen Artikel unter der Quelle:
https://www.msn.com/de-de/finanzen/top-s...nout&li=BBqg6Q9
Kommentar
Man sieht, dass Wissenschaftler nicht so oft mit Politik direkt zu tun haben, sonst hätte ihn das nicht gewundert. Dafür macht Sahin seine Arbeit um so besser. Die Fehleinschätzungen seitens der EU hat er jedoch prägnant herausgestellt.
Wann hätte man je erlebt, dass in der EU irgendetwas völlig problemlos verlaufen ist. Genau wie in dem ebenfalls föderalistischen System der Bundesrepublik Deutschland ist das Prinzip "Viele Köche verderben den Brei" in der Pandemie allgegenwärtig. Dieses politische System ist, wie schon mehrfach dargelegt, für jede Form der Notfallbewältigung größeren Ausmaßes absolut ungeeignet. Da wird es nach der Pandemie viel Arbeit geben, die dringend erforderlichen Korrekturen durchzuführen, was eben genau wegen dieser Systematik nicht einfach werden dürfte.